Universum Bremen - Der mobile Mensch

Infrastruktur

Nachhaltig mobil im ländlichen Raum?!

16.07.2020 - von Simone Cordes

Online-Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung über notwendige Schritte für eine zukunftsfähige Mobilität

Mobilität im ländlichen Raum nachhaltig gestalten: Welche infrastrukturellen Schritte sind dafür notwendig? Welche Herausforderungen müssen im Bereich der Elektromobilität hinsichtlich Technik und Wirtschaftlichkeit gemeistert werden? Und welche politischen Maßnahmen zur Umstrukturierung der Verkehre wären sinnvoll? Bei der Online-Veranstaltung #4 Ländliche Räume: Welcher Verkehr bringt Teilhabe und Klimaschutz? der Heinrich-Böll-Stiftung im Juni erläuterten drei Expertinnen und Experten aus verschiedenen Perspektiven ihre Sicht auf das Thema und standen Zuhörerinnen und Zuhörern Rede und Antwort.

Wegeketten bestimmen das Fortbewegungsmittel

Dr.-Ing. Melanie Herget, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Thünen-Institut für Ländliche Räume, veranschaulichte verschiedene Szenarien, mit denen Bewegungsfreiheit in ländlichen Räumen klimaschonend hergestellt werden kann. Dabei erklärte sie, dass ca. 40 % der Erwachsenen ihre Aktivitäten und somit auch ihre Wege koppeln (Ergebnisse aus dem Schlussbericht „Familienmobilität im Alltag – Herausforderungen und Handlungsempfehlungen“). Die längste Teilstrecke bestimmt dabei häufig das Hauptverkehrsmittel. In ländlichen Regionen wird oft der Pkw gewählt, denn dieser stellt eine universelle Komplettlösung dar. Alle anderen Verkehrsmittel sind Spezialisten für verschiedene Mobilitätsbedürfnisse, die sich wie ein Puzzle gegenseitig ergänzen müssen, um eine echte Alternative zum Pkw darstellen zu können – dabei ist unter anderem die Rede von Bahn, Linienbus, Rad, Carsharing und Bürgerbus. Laut Herget benötigt dieses Puzzle ein stabiles Rückgrat für Langstrecken: Wichtig seien ein landesweites Netz an Schnellbusverbindungen, das verlässlich mit enger Taktung fährt, aufeinander abgestimmte Bahn- und Buslinien, sodass ein möglichst flächendeckendes Verkehrsnetz ermöglicht werden kann, und Radschnellwege.

Hürden für Elektromobilität

Wie sehen die Voraussetzungen für Elektromobilität bei Pkw´s in ländlichen Regionen aus? Und welche Schritte sind für den Ausbau der Infrastruktur notwendig? Franziska Kronberg, Geschäftsführerin bei Energie Codes & Services GmbH, berichtete, dass die Ladesäulen in Deutschland nicht voll ausgelastet sind: Die rund 28.000 öffentlichen Ladepunkte reichen für etwa 440.000 elektrisch betriebene Fahrzeuge. Allerdings sind nur circa 239.000 Elektrofahrzeuge gemeldet, Stand 01.01.2020. Und genau diese fehlende Auslastung stellt ein großes Hindernis für den weiteren Ausbau der Ladeinfrastruktur dar. Kronberg betonte, dass 80 % der Ladevorgänge in Deutschland zu Hause oder am Arbeitsplatz stattfinden – deshalb sei es wichtig, genau daran anzuknüpfen und an diesen Orten weitere Lademöglichkeiten zu schaffen. Aktuell gäbe es immer noch zu wenig E-Fahrzeuge im ländlichen Raum, um dort eine Ladeinfrastruktur wirtschaftlich betreiben zu können. Deshalb sei eine Hilfestellung (z. B. DIN SPEC 91433 Leitfaden zur Suchraum- und Standortidentifizierung) beim Errichten von öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur für private Betreiber und auch für Kommunen notwendig, um Elektromobilität auf dem Land voranbringen zu können. Daneben sei eine Weiterentwicklung von Elektroautos notwendig, da viele Autofahrerinnen und Autofahrer immer noch Bedenken haben, dass die Reichweite für ihre Wege nicht ausreicht.

ÖPNV und Mobility Hubs für Daseinsvorsorge

Stefan Kühn, Mitglied des Deutschen Bundestages bei Bündnis 90/Die Grünen und Sprecher für Verkehrspolitik, zeigte auf, wie Die Grünen meinen, Teilhabe und Klimaschutz in ländlichen Räumen herstellen zu können. Kühn erklärte, dass der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ein großer Bestandteil der Daseinsvorsorge sei, um gleichwertige Lebensverhältnisse im Bereich der Mobilität zu ermöglichen. Diese angestrebte Versorgung steht laut Kühn im Widerspruch zu der Tatsache, dass der ÖPNV eine freiwillige und keine verpflichtende Aufgabe der Kommunen ist – lediglich der Schülerverkehr muss gewährleistet sein. Deshalb müsse eine Unterstützung durch Bund und Länder erfolgen, um mit gemeinsamer Kraftanstrengung Neuerungen zu ermöglichen. In Kombination sollten es öffentliche Verkehrsmittel mit einer hohen Fahrtfrequenz und einer flächendeckenden Verfügbarkeit idealerweise schaffen, das Mobilitätsversprechen abzubilden, das der private Pkw abbildet – einfach einsteigen und losfahren. Die Schiene müsse dafür in der Fläche das zentrale Verkehrsmittel abbilden, insbesondere für die Erschließung längerer Strecken. Zentrale Mobilitätsstationen, sogenannte Mobility Hubs, mit einem Angebot aus beispielsweise Park & Ride, Ladeinfrastruktur für Autos und sicheren Abstellanlagen für Elektrofahrräder, seien in Ergänzung dazu notwendig, um im ländlichen Raum Mobilität nachhaltiger gestalten zu können.